- Wirtschaftsnobelpreis 1984: Richard Nicholas Stone
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Der Brite erhielt den Nobelpreis für seinen Beitrag zur Entwicklung volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungssysteme, die die Grundlagen der empirischen Wirtschaftsanalyse maßgeblich verbesserten.Sir (seit 1978) John Richard Nicholas Stone, * London 30. 8. 1913, ✝ Cambridge 6. 12. 1991; 1939 Statistiker im Ministerium für ökonomische Kriegsführung, anschließend Mitarbeiter des ökonomischen Beraterstabs des britischen Kriegskabinetts, 1945-55 Direktor der Abteilung für angewandte Ökonomie der Universität Cambridge, 1955-80 Professor für Finanzen und Buchführung, in den 1980er-Jahren Berater der Regierung Thatcher.Würdigung der preisgekrönten LeistungIn einer Volkswirtschaft werden täglich unzählige Transaktionen zwischen Unternehmen, privaten Haushalten und dem Staat getätigt. Die Erhebung und Analyse einer endlos detaillierten und komplizierten Anzahl von Transaktionen innerhalb einer Volkswirtschaft erfordert Methoden, mit denen die Realität auf der Mikroebene systematisch zusammengefasst und aggregiert werden kann. Die Systematik der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) ermöglicht eine überschaubare quantitative Darstellung des volkswirtschaftlichen Geschehens einer vergangenen Periode. Diese neue analytische Vorgehensweise wurde während des Zweiten Weltkriegs von John Maynard Keynes zur Lösung des Problems der Kriegsfinanzierung eingeführt. Keynes stellte der gegenwärtigen Gesamtproduktion (reales Bruttonationaleinkommen) auf der Angebotsseite den Gesamtkonsum, die Investitionen und die Kriegsausgaben auf der Nachfrageseite gegenüber.Die Volkswirtschaftliche GesamtrechnungStone war Wegbereiter und treibende Kraft der theoretischen Untermauerung und praktischen Anwendung verschiedener Systeme der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Aus heutiger Sicht bilden die Konten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als umfassendes statistisches Instrument die Grundlage für regelmäßige Schätzungen des Bruttonationaleinkommens (Bruttosozialprodukt), dem grundlegenden Maß der Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Im Rahmen der Konjunktur-, Wachstums- und Strukturpolitik ist sie ein wichtiger Teil der systematischen Berichterstattung über die finanzielle Situation und den Entwicklungsstand eines Lands. Solche Berichte werden für eine große Anzahl von Ländern unter anderem von der UN und der Weltbank bereitgestellt. Stone entwickelte ein System mit vier volkswirtschaftlichen Konten: Produktion (Inlandsproduktkonto), Konsum (Einkommens- und Ausgabenkonto), Akkumulation (Kapitaltransaktionskonto) und Rest der Welt (Zahlungsbilanzkonto). Dieses Kontensystem, das nach dem Prinzip der doppelten Buchhaltung funktioniert, liegt heute allen statistischen Berechnungen zugrunde, die sich mit der Entstehung und Verwendung des Bruttoinlandsprodukts sowie der Verteilung des Volkseinkommens befassen. Die Idee zur Schaffung von nationalen Konten konzentrierte sich auf eine vollständige Integration der verschiedenen Sektoren, die zusammengenommen den gesamten Einsatz und die Ressourcen einer Volkswirtschaft repräsentieren. Mit der Gegenüberstellung der Ausgaben und Einnahmen der privaten Haushalte, der Unternehmen, des Staats und der Zahlungskonten mit dem Ausland als Variablen, die sich untereinander beeinflussen können, entsteht ein Abbild der Wechselwirkungen und Abhängigkeiten innerhalb eines gesamtwirtschaftlichen Systems. Erst wenn alle wirtschaftlichen Transaktionen in vergleichbaren Zahlen dargestellt werden, kann ein Überblick über die verschiedenen Einnahmen und Ausgaben einer Volkswirtschaft und somit Informationen über die Zusammensetzung des Volkseinkommens gewonnen werden. Die Ergebnisse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung können in Form von Konten, Tabellen, Kreislaufdiagrammen oder Gleichungssystemen dargestellt werden.Die nationalökonomische BuchführungAb 1937 war Stone gemeinsam mit seiner ersten Frau, Winifred Mary Jenkins, die ebenfalls Volkswirtschaftslehre in Cambridge studierte, für das monatliche Beiheft der Zeitschrift »Industry Illustrated« mit dem Namen »Trends« verantwortlich. Die dort erschienenen Artikel decken ein breites, auch internationales Spektrum der Wirtschaftsaktivitäten ab; neben Analysen der Beschäftigung, der Produktion, der Preise und des Außenhandels in England wurden beispielsweise auch der Aufschwung in Deutschland und der amerikanische Aktienmarkt untersucht. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs arbeitete Stone zunächst in der Abteilung für Versand und Ölstatistik des Ministeriums, später im Büro des zentralen ökonomischen Informationsdienstes des Kriegskabinetts. Dort lernte er James Meade (Nobelpreis 1977) kennen, der die Grundlagen für einen Bericht über die ökonomische und finanzielle Situation des Landes vorbereitete. Als Assistent des Ökonomen John Maynard Keynes, damals Mitglied im Beraterstab des Kanzlers im Finanzministerium, war Stone ferner für die weitere Entwicklung der offiziellen Statistiken verantwortlich. Ende der 1940er-Jahre wurde in Paris die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) gegründet, aus der die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervorging. Stone hatte den Auftrag, zusammen mit verschiedenen europäischen Kollegen Studien über die nationale Buchführung in anderen Ländern zu erstellen und die dabei angewandten Techniken auf Konferenzen anderen Statistikern näher zu bringen. 1952 beauftragten die Vereinten Nationen (UN) ein Expertenteam, das unter Leitung von Stone ein Standardsystem für nationale Buchführung erarbeitete. Im Rahmen der Forschungen für die OECD und die UN trieb er die Konstruktion eines standardisierten Rechnungssystems weltweit voran. Das von Stone entwickelte Modell zur volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zeigt detailliert die Entstehung, Verwendung und Verteilung des Volkseinkommens, der Bestände an Sach- und Geldvermögen und enthält zudem Angaben über Finanzierungsströme und Produktionsverflechtungen. Es liefert eine unentbehrliche Grundlage für Analysen und Prognosen im Rahmen der Konjunktur-, Wachstums- und Strukturpolitik sowie der Sozial- und Finanzpolitik eines Landes. Letztlich ermöglichte das Modell durch dessen allmähliche internationale Verwendung, das Wirtschaftswachstum verschiedener Länder miteinander zu vergleichen.Seit den 1970er-Jahren entwickelte Stone für die UN ein integriertes System der sozialen und demographischen Statistik, mit dem in Kontenform Veränderungen der Bevölkerungsstruktur und Wanderungsbewegungen erfasst werden. Die Population wird dabei in Altersgruppen und nach bestimmten Charakteristika (Beruf, sozioökonomische Stellung, Gesundheit) aufgeteilt.Neben der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung beschäftigte sich Stone unter anderem mit der empirischen Erforschung des Wirtschaftswachstums und mit mathematischen Simulationsmodellen. 1962 veröffentlichte er zusammen mit Alan Brown ein ökonometrisches Modell für die britische Wirtschaft. Es war zunächst nur ein verzweigtes statisches Modell des ökonomischen Wachstums, das später in dynamischer Form zur Prognose zukünftiger Entwicklungen verwendet wurde. Stone beschreibt das Modell in dem zwölf Bände umfassenden Werk »A Programm of Growth« (englisch; Ein Wachstumsprogramm).R. Fuess, G. Vorsatz
Universal-Lexikon. 2012.